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Friedensfilmpreis Osnabrück
Aussichten und Abstimmungen:
Die Jurymitglieder und die Anwärter auf den Friedensfilmpreis Osnabrück
Nach einer erzwungenen Kinopause in der ersten Jahreshälfte sind seit dem Sommer wieder Leinwand-vergnügen möglich. Eine gute Nachricht für das Team des 35. Unabhängigen FilmFests Osnabrück. Nach Monaten der Ungewissheit steht fest, dass die bisherigen Planungsarbeiten nicht umsonst waren: Das renommierte Filmfestival kann stattfinden, wobei der Corona-Vorsorge Rechnung getragen wird. Vom 21. bis 25. Oktober bringen 58 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme internationales Flair in die Stadt. Traditionelle Vorführungen mit Großleinwand gibt es in den der vier Spielstätten Lagerhalle, Filmpassage, Filmtheater Hasetor, Haus der Jugend und in einer Sonderveranstaltung im Cinema Arthouse zu sehen sein. Mit ffos+ wird in diesem Jahr unter der Web-Adresse stream.filmfest-osnabrueck.de erstmals zusätzlich ein kostenpflichtiger Streaming-Service angeboten.
Das Programm teilt sich in die Kurzfilmprogramme und die Langfilmsektionen Focus on Europe, Vistas Latinas und FilmFest Extrem, und wie in jedem Jahr werden vier Filmpreise vergeben, die mit insgesamt 18.200 Euro dotiert sind. Ausgeschrieben sind der Filmpreis für Kinderrechte, der Publikumspreis für den besten Kurzfilm und der Publikumspreis für den besten studentischen Kurzfilm sowie der mit 15.000 Euro dotierte Friedensfilmpreis Osnabrück. Stifter der Auszeichnung ist die Sievert Stiftung für Wissenschaft und Kultur.
Für den Wettbewerb um den Friedensfilmpreis Osnabrück wurden elf Spiel- und Dokumentarfilme nominiert, die sich gemäß den Statuten in herausragender Weise in den Dienst humanen Denkens und der Toleranz stellen. Unter den Beiträgen finden sich informative und bewegende Geschichten, die Einblicke in nahe und ferne, vergangene und aktuelle Lebenswelten ermöglichen.
Die Filmerfahrung selbst wird in Ra'anan Alexandrowicz’ filmischem Experiment „The Viewing Booth“ zum Thema. Der israelische Regisseur zeigte ausgewählten Personen Videomaterial, das nach Angaben der Urheber Menschenrechtsverstöße dokumentiert. Er bat die Zuschauer:innen, das Gesehene zu kommentieren und filmte sie dabei. Die kritischen Reaktionen der Collegestudentin Maia Levy überraschten ihn. Daraufhin bat er sie, sich noch einmal zur Verfügung zu stellen.
Das Hinterfragen vermeintlicher Gewissheiten und der aktive Wille zur Veränderung ist ein zentrales Thema der Filme im Wettbewerb um den Friedensfilmpreis. In „A Son“ stellt die lebensbedrohliche Verletzung eines Zehnjährigen dessen Familie vor eine schwere Belastungsprobe und wirft allgemeingültige moralische Fragen auf. In „This Is Not a Burial, It's a Resurrection“ kämpft eine 80-jährige Witwe gegen die Zwangs-Umsiedlung ihres Dorfes. „Sunless Shadows“ widmet sich einer Gruppe junger Frauen, die die an ihnen verübte innerfamiliäre Gewalt in Ermangelung jeglicher Hilfsangebote nur mit Gewalt zu beantworten wussten und nun in einem Gefängnis auf ihre Strafe warten.
Die Deutschlandpremiere „Merry Christmas, Yiwu“ stimmt auf besondere Weise auf Weihnachten ein. Yiwu ist eine chinesische Industriestadt, in der unter anderem Weihnachtsschmuck für den Export hergestellt wird. Die Glitzerkugeln, Zipfelmützen und Deko-Rentiere finden ihren Weg auch nach Deutschland. Die Arbeitsverhältnisse, unter denen sie hergestellt werden, entsprechen allerdings nicht gerade der weihnachtlichen Botschaft.
Verbesserungswürdig sind auch die Lebensbedingungen der über 300.000 Aids-Infizierten in der chinesischen Provinz Henan, die meisten von ihnen Opfer staatlicher Nachlässigkeit.
In der mutigen Menschenrechtsaktivistin Ximei haben sie eine engagierte Fürsprecherin gefunden, die trotz ihrer eigenen Erkrankung Hilfsangebote auf die Beine stellt und sich mit den Verantwortlichen anlegt. Die Regisseur:innen Andy Cohen und Gaylen Ross haben sie sieben Jahre lang, ständig beobachtet und schikaniert von den Behörden, mit der Kamera begleitet. Ihr Film trägt den Namen der Protagonistin: „Ximei“. Die Koautorin des Films, Gaylen Ross, hat einen interessanten Werdegang hinter sich. Sie war kurz als Schauspielerin tätig und spielte eine der Hauptrollen in George Romeros Horrorfilm „Zombie“. Seit Ende der 1980er dreht und produziert sie anspruchsvolle Dokumentarfilme und wurde mehrfach ausgezeichnet.
Von einer nervenaufreibenden Tätigkeit berichtet der französisch-armenische Beitrag „Nothing to Be Afraid of“: der Landminen-Entschärfung. Ganze Waldflächen in Bergkarabach sind mit den international geächteten Anti-Personen-Waffen verseucht. Mitarbeiterinnen der Nichtregierungsorganisation HALO Trust suchen nach den im Boden versteckten Minen, um sie kontrolliert sprengen zu können.
Um Waffen, die es nie gab, kreist die bittere Politsatire „Curveball – Wir machen die Wahrheit“. An Tatsachen angelehnt erinnert der Film daran, wie deutsche Geheimdienstler durch ihre Eitelkeiten und einen Mangel an Verantwortungsgefühl auf beschämende Weise zum zweiten Irak-Krieg beitrugen. Mit Sebastian Blomberg und dem zukünftigen Bremer Tatortkommissar, Dar Salim.
Verbrechen deutscher Aussiedler sind Thema des Films „Songs of Repression“. Die berüchtigte Colonia Dignidad, in der systematisch Kindesmissbrauch betrieben und gefoltert wurde, besteht weiter, heute unter anderem Namen. Einige Bewohner sind traumatisiert, andere verklären ihre eigene Geschichte.
„It Takes a Family“ dokumentiert die Auseinandersetzung der Filmemacherin Susanne Kovács mit der Vergangenheit ihrer Familie. Das Überleben des Holocausts, die Auswanderung nach Dänemark, Gewalterfahrungen, Ausgrenzung.
Der Gewinner des Friedensfilmpreises Osnabrück wird von einer dreiköpfigen Jury aus erfahrenen Vertreter:innen der Filmkultur bestimmt.
Die Niederländerin Heleen Gerritsen leitet seit 2018 das Wiesbadener goEast-Festival, das sich dem mittel- und osteuropäischen Filmschaffen widmet. Ihr frühes Interesse für klassische russische Kultur festigte sie im Studium der Osteuropa-Studien und Wirtschaftswissenschaften in Amsterdam und Sankt Petersburg. Dort arbeitete sie im traditionsreichen Produktionsstudio Lenfilm, sammelte weitere Erfahrungen bei den Filmfestivals in Rotterdam und Amsterdam und leitete bis 2017 das Neubrandenburger DokumentART-Festival. An der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ließ sie sich zur Produzentin ausbilden.
Katrin Mundt gehört seit 2018 der dreiköpfigen Leitung des Osnabrücker European Media Art Festivals an und verantwortet dort die Filmprogramme. Als freie Kuratorin realisierte sie im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, dem Hartware MedienKunstVerein Dortmund, fu?r die Bonner Videonale, das goEast-Festival, Alternative Film/Video in Belgrad und Intermediæ in Madrid zahlreiche Ausstellungen und Filmprogramme. Die Duisburger Filmwoche, Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und das Kasseler Dokfest beriefen sie in ihre Auswahlkommissionen. Sie vero?ffentlichte u. a. „Ortsbestimmungen. Das Dokumentarische zwischen Kino und Kunst“ (Katrin Mundt: Berlin 2016, hrsgg. zusammen mit Eva Hohenberge).
Das Trio wird komplettiert von Björn Koll, Inhaber und Motor des unabhängigen Filmverleihs Edition Salzgeber. Sein Studium der Theaterwissenschaft, BWL und Psychologie schloss er nie ab, weil er unter anderem eigene Kurzfilme, Praktika am Theater des Westens und an der Deutschen Oper viel spannender fand. Seit 1994 ist Koll mit Salzgeber der Verleiher von über 500 Filmen, deren Spektrum von Queer Cinema, Dokumentarfilm und Nachwuchs bis zum World Cinema reicht. Privat sammelt Björn Koll Fotografie, veranstaltet unregelmäßig Ausstellungen und entwickelt Kunst- und Buchprojekte.
Die feierliche Preisverleihung wird als Höhepunkt des 35. Unabhängigen FilmFests am 25. Oktober um 17 Uhr in der Lagerhalle stattfinden. Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung unter info@filmfest-osnabrueck.de wird gebeten.
Anschließend setzt der außerhalb des Wettbewerbs präsentierte Abschlussfilm „Air Conditioner“ einen markanten Schlusspunkt: Skurrile Dinge begeben sich in der angolanischen Hauptstadt Luanda. Ohne erkennbaren Grund fallen die an den Fassaden befestigten Klimaanlagen auf die Straße und finden bisweilen neue Besitzer. Zezinhas Chef ist wütend, er will sein Gerät zurück. Für das Hausmädchen Zezinha und den Hausmeister Matacedo beginnt eine Odyssee durch Luandas Downtown, von Regisseur Fradique farbenprächtig, faszinierend, einfallsreich inszeniert und mit der berührenden Musik Aline Frazaos unterlegt.
Und für alle, die am Sonntag verhindert sind: Der Gewinner des Friedensfilmpreises Osnabrück wird am Dienstag, den 27. Oktober 2020, um 20 Uhr noch einmal als FilmFest Extra in der Lagerhalle zu sehen sein. Weitere Informationen zu den Filmen im Wettbewerb um den Friedensfilmpreis Osnabrück findet ihr auf der Homepage www.filmfest-osnabrueck.de.
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