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John Cameron Mitchell schrieb und inszenierte dieses Kultmusical mit sich selbst in der Titelrolle: Hedwig schafft es, aus der DDR in die USA zu fliehen, muss dafür jedoch einen hohen Preis zahlen. Originell, camp, rockig, triumphal – ein Hit und ein Cineclub-Filmtipp!
Hedwig (John Cameron Mitchel, Mitte) wartet mit ihrer Band auf Erfolg.
Inhalt:
Die international übersehene Songstylistin Hedwig (John Cameron Mitchell) ist sauer: der junge Rockstar Tommy Gnosis (Michael Pitt) spielt in ausverkauften US-Stadien, seitdem er sie verlassen und ihre Lieder geklaut hat. Hedwig hingegen reist ihm mit Managerin Phyllis Stein (Andrea Martin) und ihrer Band The Angry Inch, bestehend aus illegalen Einwanderern, hinterher, spielt in schäbigen Restaurants und hofft auf die Gelegenheit zu beweisen, dass sie die Urheberin von Tommys Musik ist.
Hedwigs aktueller Ehemann Yitzhak (Miriam Shor) ist Mitglied der Band, doch zwischen den beiden kriselt es. Hedwig lässt ihre Launen an Yitzhak aus und dieser überlegt, die Band zu verlassen und bei der Asientournee von "Rent" anzuheuern. Auf Hedwigs Suche nach ihrer anderen Seelenhälfte ist Tommy wie auch Yitzhak nur ein weiteres ärgerliches Kapitel. Mit ihren rockigen Liedern hat Hedwig einen Weg gefunden, ihr Herz und ihre Geschichte offenzulegen.
In ihrer Jugend gab es noch weitere Männer, mit dem Hedwigs Schlamassel erst angefangen hat: Hedwig heißt eigentlich Hansel und wurde in Berlin geboren an dem Tag, als die Mauer gebaut wurde. Sein Vater, ein Westfutze, belästigt ihn in früher Kindheit. Mutter Hedwig (Alberta Watson) flüchtete mit dem Jungen in den Osten. Rock-Musik aus dem Radio bietet Hansel eine Zuflucht im langweiligen DDR-Alltag, aber er sehnt sich nach nichts mehr, als endlich dem Ostblock zu entfliehen.
Das ahnungslose Bübchen verknallt sich in den amerikanischen Sugardaddy Sergeant Luther Robinson (Maurice Dean Wint), der Hansel verspricht, ihn zu heiraten und in die USA mitzunehmen. Das Glück kennt nur einen Haken: als Kompromiss muss Hansel den Namen seiner Mutter annehmen und sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen. Verheiratet und in Kansas angekommen verlässt Luther Hedwig schleunigst, denn bei der Geschlechts-OP ging etwas schief und statt einer Vagina hat Hedwig noch immer einen Fleischstummel: jenes zornige Zoll.
Hedwig und ihr ehemaliger Lover Tommy (Michael Pitt) waren einmal
zusammen glücklich.
Kritik:
Politisch wie anatomisch vollkommen inkorrekt hat sich "Hedwig and the Angry Inch" wegen der mitreißenden Musik, der leidenschaftlichen Geschichte und des anzüglichen Humors zu einem Kultfilm ähnlich wie "The Rocky Horror Picture Show" entwickelt. Mundpropaganda und kleine Aufführungen der Bühnenvorlage haben dem Film auch in Deutschland zu einer festen Fangemeinde verholfen – und das, obwohl der Film trotz des Teddy Awards der Berlinale als bester queerer Spielfilm 2001 und vieler anderer Filmpreise hier niemals veröffentlicht wurde.
Erwachsen ist der Film aus dem erfolgreichen Off-Broadway-Musical, das Hauptdarsteller John Cameron Mitchell ("Shortbus") zusammen mit Musiker Stephen Trask über viele Jahre entwickelt und am 14.02.1998 in New York City uraufgeführt hat. Drei Jahre später durfte Mitchell mit einem Budget von 6 Millionen Dollar einen Film für New Line drehen, führte dafür zum ersten Mal Regie und engagierte den Großteil des Off-Broadway-Casts, wodurch sich die Reife der Darstellung erklärt, und ließ live singen, worin die mitreißende Kraft der Musik liegt. Die Regieleistung Mitchells ist geprägt von viel Fantasie, Liberalität und emotionalem Gespür.
Die Geschichte, die genreüblich auch durch die insgesamt 18 Lieder erzählt wird, hat viel (bitteren) Witz, Kitsch, Charme, Glamour. "Hedwig" rockt und hat Tiefgang: Der Film setzt sich mit Fragen der Geschlechtsidentitäten der Charaktere auseinander. Dazu wird auch Platons mythische Idee über die Herkunft gleich- und andersgeschlechtlicher Liebe (Lied "Origin of Love") eingewoben und in einer symbolischen Fusion zum Ende des Films transformiert. Es wird nie eindeutig bestimmt, ob Yitzhak und Hedwig als Männer oder Frauen einzustufen sind, ob Hedwig transsexuell, intersexuell oder einfach nur genderqueer ist.
Wegen der Komplexität von Hedwigs Situation ist es eine der Stärken des Filmes, dass keine eindeutige Zuordnung stattfindet. So wird der Zuschauer dazu aufgefordert, seine binären Kategorien von Mann und Frau abzulegen. Wie die Metapher der Berliner Mauer werden diese Kategorien eingerissen und Platz für ein größeres Ganzes geschaffen. "Hedwig" ist ein vielseitiges, glanzvolles Spektakel, welches – ähnlich wie "Rent" – mitreißend für schubladenfreie Liebe plädiert.
Hedwig tritt noch immer in kleinen Restaurants auf wie früher.
Hintergrund:
- Die "Hedwig"-DVD
ist im Internet als Import aus Großbritannien erhältlich und enthält den englischen Ton in 2.0-, 5.1- und DTS-Abmischung, einen Audio-Kommentar von Mitchell und Kameramann Frank DeMarco, die herausragende Doku "Whether You Like It or Not, The Story of Hedwig" zur Entstehung des Musicals von stolzen 85 Minuten Länge, zwei geschnittene Szenen (12 Minuten), Trailer, direkte Liedanwahl und Filmographien.
- "Hedwig and the Angry Inch" ist Golden-Globe-nominiert und gewann viele Preise, darunter auch einige Filmkritikerpreise und schwul-lesbische Festivalpreise wie den Berliner Teddy Award.
- Das in "Hedwig" erwähnte Rock-Musical "Rent" von Jonathan Larson, eines der am längsten laufenden Broadway-Musicals, wurde unter gleichem Titel 2005 von Chris Columbus ("Kevin allein zuhaus", "Mrs. Doubtfire" und die ersten drei Harry-Potter-Teile) verfilmt.
- Das Jane Street Theater, in dem das Musical aufgeführt wurde, befindet sich im Ballsaal des Hotels Riverview, in dem die Überlebenden des Titanic-Untergangs untergebracht wurden. Deswegen sind in den Restaurant-Szenen Bilder der Titanic zu sehen.
- Im englischsprachigen Raum nennen sich die Hedwig-Fans "Hedheads".
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Fakten |
Originaltitel: Hedwig and the Angry Inch
ohne Kinostart in: 00.02.2001
Genre: Musical / Glamrock-Drag-Drama
Regie:
John Cameron Mitchell
Dieser Film wurde bewertet von: Martin(94%)
Texte: Martin
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