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Baz Luhrmann und die Technik: Eine Mischung, die das derzeit Mögliche optimal ausnutzt und zeigt, dass maximale Euphorie nur eine minimale Geschichte voraussetzt...
Kritik:
Wer Pathos, Kitsch, Ausstattungsorgien, Musicals und hirnverschwurbelnde Kamerafahrten nicht mag - für den gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er (oder sie) geht ins Kino und wird sich von Baz Luhrmanns endgültiger Zustandsbeschreibung des Machbaren eines Besseren belehren lassen. Oder er geht nach dem Film nach Hause, wirft auch noch das letzte Plüschtier in den Müll, meldet die Stereo-Anlage bei der GEZ ab und bekennt sich zur absoluten Askese. Es sollen auch schon Personen gesichtet worden sein, die „Moulin Rouge" einfach langweilig fanden. Nun denn - ein bisschen Schwund ist immer.
Ob das Kino gerade auf diesen Film gewartet hat - darüber mag ich nicht streiten. Fakt ist: Was der australische Kino-Erneuer (seine Kritiker werden sagen: Kino-Vergewaltiger) hier im wahrsten Sinne des Wortes angerichtet hat, gleicht einer Frischzellenkur mit ungewissem Ausgang. Endlich schert sich mal einer nicht um die Massenkompatibilität seiner sündhaft teuren Exzesse, was sich natürlich nur mit dem Erfolg von „Romeo & Julia" im Rücken erklären lässt. Nein: Er tut das, was man in Ganoven-Kreisen mit „sein Ding durchziehen" umschreibt. Sprengt alle Grenzen, marschiert unbeirrbar auf sein Ziel zu und schaut sich dort, aber wirklich erst dort, danach um, was er da hinterlassen hat. Und wahrscheinlich ist er selbst erstaunt darüber.
Die Handlung
Mit ein paar Worten ist das Drama - denn um ein solches würde es sich handeln, ließe man das ganze Drumherum weg - umrissen: Der chronisch finanzklamme Schriftsteller Christian (Ewan McGregor) verliebt sich in den dauerhaft unterkühlten Nachtclub-Star Satine (Nicole Kidman). Auf die hat jedoch bereits der reiche Duke sein Auge geworfen. Weil Duke auch sein Geld ins „Moulin Rouge" werfen - oder besser: stecken - soll, steht die Zukunft des Ladens auf dem Spiel. Da das Drehbuch sowieso schon nach wenigen Minuten verrät, dass Satine am Ende an Tuberkulose stirbt, sei mir die Ausnahme von der Regel gestattet, nie zu verraten, wie ein Film ausgeht.
Die Optik
Denn dass der Film so ausgeht, ist ebenso wichtig wie völlig nebensächlich. Der Star sind nicht die Schauspieler, sondern die Techniker, Kameraleute und so weiter. Woher Baz Luhrmann dieses Team an Größenwahnsinnig-Genialen genommen hat, ist mir schleierhaft. Wie viele Cutter einen Herzinfarkt erlitten oder wegen chronischer Überlastung den Schneideraum verlassen mussten, bleibt ebenso im Dunkeln. In keiner Szene läuft das Zelluloid länger als zwei, drei Sekunden am Stück. Das verschafft ein völlig neues Kino-Erlebnis: Selbst in den ruhigen Dialog-Momenten ergibt sich ein dauerhafter Bewegungsfluss, beobachtet der Zuschauer die Szene eben nicht abwechselnd aus der einen oder anderen Perspektive, sondern aus mehreren Blickwinkeln gleichzeitig. Das, was sonst Kamerafahrten oder Kreisbewegungen leisteten, wird konsequent der Schnitttechnik aufgetragen.
Dass dieses Schneiden in den „schnellen" Moulin-Rouge-Szenen auf Spitzen getrieben wird, die selbst MTV-Clips vor Neid erblassen lassen, ist nur die logische Konsequenz. Sein Meisterstück ist jedoch jene Abfolge von Ereignissen, in der Satines Fast-Vergewaltigung, Christians Liebesleid sowie das Warten der Musical-Truppe auf ihren Auftritt synchron miteinander verwoben werden. Gibt man sich diesem Bilder-Rausch einmal hin, wird man staunen, wie ein Übermaß an Informationen nicht zum Overkill führt. Vielmehr entsteht ein neuer Wahrnehmungszustand, der sich ins Unterbewusste flüchtet. Die schreienden rot-violetten Plüsch-Farben und ein Paris, das wie aus dem (Alb)-Traum eines surrealistischen Malers dahingeworfen zu sein scheint, tun ihr übriges.
Die Musik
Geschmacksneutral und überwiegend antiseptisch ausgewählt, droht die Gefahr der Langeweile: Wer will schon „Like a Virgin" oder „Voulez vous couche avec moi" zum hundertsten Mal hören? Selbst wenn sich Ewan McGregor und Nicole Kidman zu nicht immer ganz sauberen, aber für Schauspieler mehr als akzeptablen Gesangseinlagen hinreißen lassen. Aber auch hier fällt der Regisseur die richtige Entscheidung: Indem er auf Bekanntes setzt, nutzt er die Assoziationen des Publikums mit diesen Titeln, um die Handlung voranzubringen. Das, was in den Songs schon x-fach erklärt wurde, muss er selbst nicht mehr erklären.
Der Effekt
Radikalität fordert ihren Preis, das mussten alle Erneuerer und Revolutionäre erfahren. Im günstigsten Fall entstand beim Verzicht auf Überliefertes etwas Neues. „Moulin Rouge" versetzt sicher dem traditionellen Erzähl-Kino nicht den Todes-Stoß - weil es mit diesem nichts mehr gemein hat. Außer der Anbetung solcher Werte wie Lebensfreude, Übermaß und Liebe gibt es keinen Inhalt. Aber wer braucht den schon?
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Fakten |
Originaltitel: Moulin Rouge
deutscher Kinostart am: 18.10.2001
Genre: Musical / Drama
Regie:
Baz Luhrmann
Dieser Film wurde bewertet von: abu(94%)
Texte: abu
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TV-Termine
Datum | Uhrzeit | Sender |
27.12.2021 |
17:40 |
RTLZWEI |
17.01.2013 ²) |
02:15 |
arte |
²) Sendezeiten bis 05:00 Uhr sind in der Nacht zum Folgetag.
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