Captain Fantastic: Einmal Wildnis und zurück |
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Länge | Unterhaltung | Spannung | Action | Musik | Erotik | Anspruch | Eindruck | Gesamt |
***** | *** | ** | ** | **** | - | ***** | **** | 78% |
Inhalt:
Aussteiger Ben (Viggo Mortensen) lebt mit seinen sechs Kindern weit ab jeglicher Zivilisation, tief in den Wäldern im US-Bundesstaat Washington, an der Nordwestküste der USA. Die Tage, Wochen und Monate sind dabei gefüllt mit der Erziehung der Kids, welche hartes körperliches und auch geistiges Training erhalten, was in Bens Augen unablässig ist, um später so die Schwierigkeiten des Lebens besser meistern zu können. Den drei Töchtern und drei Söhnen fehlt es dabei im Grunde an nichts, selbst für Nahrung ist in der rauen Natur gesorgt und Tiere töten (um sie dann entsprechend zu verspeisen und teilweise auch von ihren Fellen etc. zu leben) können die Kinder inzwischen auch recht gut.
Doch zuvor sucht ein herber Schicksalsschlag die naturgebundene Familie heim: Leslie, Mutter der sechs Kinder und Ehefrau von Ben, hat Selbstmord begangen. Wegen ihrer bipolaren Störung zog sie einst mit Ben hinaus in die Wildnis und die letzten drei Monate verbrachte sie in einer Klinik, doch nun ist sie tot und so macht Ben sich mit den Kids auf in die „zivilisierte“ Welt, um an Leslies Beerdigung teilzunehmen. Doch vor allem Leslies Vater Jack (Frank Langella) will Ben nicht dabeihaben, gibt er ihm doch die Schuld, seine Tochter Leslie und die sechs Enkelkinder seit Jahren nicht mehr gesehen zu haben.
Kritik:
Vom Aussteigen träumen ja viele Menschen, doch nur wenige erfüllen sich diesen Traum. Zumal der Wunsch meist eher auf Örtlichkeiten bezogen ist. Lieber in die Sonne ziehen, am Strand oder in den Bergen oder sonst wo arbeiten und gut leben, kennen wir ja alles. Doch was die Familie in „Captain Fantastic“ bringt, geht dann doch mehr als nur einen Schritt zu weit… oder? Regisseur Matt Ross, der hier auch das Drehbuch schrieb, erzählt die Geschichte eines Extrem-Aussteigers, der die gesellschaftlichen Zwänge verabscheut und ihre Fehler längst durchschaut hat. Dass besagter Aussteiger selbst aber auch nicht immer perfekt ist, ist dabei nicht nur realistisch sondern auch konsequent. Denn niemand ist perfekt und somit ist es Ben auch nicht. Viggo Mortensen glänzt dabei als bärtiger Hinterwäldler mit hohem Bildungsniveau. Auch die Idee, die Kinder unabhängig von großen Konzernen und deren (heutzutage ja leider immer mehr) verseuchten Lebensmitteln und weit weg von allerhand Unterhaltungsmedien voller Verdummungspotential zu erziehen, ist gelungen, da ebenfalls konsequent und gleichzeitig unterhaltsam umgesetzt. Wenn z.B. die kleine Zaja (total süß von Shree Crooks in Szene gesetzt) mit einem selbst hergestellten Tierfell auf dem Kopf an einem gutbürgerlichen Esstisch hockt und mit Messer und Gabel isst, dann spricht das Bände. Vor allem die entsetzten Gesichter der Verwandtschaft (gespielt von Kathryn Hahn und Steve Zahn) sind göttlich und die Dummheit ihrer Kinder, die lieber auf ihrem Handy spielen und keine Ahnung haben, was sie da grad in der Schule lernen, während die „wilden“ Kinder sogar die Bill of Rights auswendig können und verschiedene Sprachen sprechen, sagt eigentlich alles.
Die direkte aber eben auch oft indirekte Kritik an der heutigen „zivilisierten“ Gesellschaft ist also nicht nur unterhaltsam umgesetzt, sondern faktisch auch zeitgemäß und durchaus richtig. Wenn Ben z.B. seinen Kids erklärt, dass Cola nichts anderes als vergiftetes Wasser ist, Medikamente unnötiger Müll sind und ein gesunder Marxismus menschenfreundlicher sein kann, als übertriebener Turbokapitalismus, dann ist das soweit natürlich nicht verkehrt. Wenn man aber gegen alles und jeden ist, der besagte „zivilisierte“ Gesellschaft vorzieht und gezielt dagegen arbeitet und seinen Kindern von deren Geburt an schon das Gegenteil beibringt, dann ist man im Grunde nicht unbedingt besser als das, was man so verbscheut. Denn so vernünftig und „natürlich gebunden“ man auch leben mag und seine Nachkommen dementsprechend auch erzieht, so unvernünftig ist es, das konkrete Gegenteil dieser Art des Lebens zu verteufeln. Im Grund liegt die sogenannte „Wahrheit“, die jeder Mensch irgendwann einmal im Leben sucht, doch genau in der Mitte. Zwar wird es einem immer schwerer gemacht, naturverbunden zu leben ohne dafür gleich alle Brücken abzubrechen und in die Wildnis zu ziehen, doch noch ist es durchaus machbar. Man muss ja keine Cola trinken. Man kann (jedenfalls manche Menschen) gänzlich auf pharmazeutische Produkte verzichten. Man kann (noch) entsprechende Bücher lesen und sich unabhängig weiterbilden. Und man kann seine Kinder trotz Dingen wie Schulpflicht und Gesellschaftszwängen (z.B. Handys etca) die Wahrhaftigkeit des „einfachen“ Lebens durchaus vermitteln und dafür müssen die Kids nicht einmal wilde Tiere erlegen.
Hintergrund:
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