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Dank einer originellen Grundidee trägt das Priester-Movie „Calvary“ den Zuschauer auch durch die mühsamen Ebenen des Filmeschauens. Dabei spielt Hauptdarsteller Brendan Gleeson alle an die Wand - außer das Schicksal. Schuld, Sühne und Vergebung auf Irisch.

Calvary (mit Brendan Gleeson)
Fiona (Kelly Reilly) und ihr Vater (Brendan Gleeson)
sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.


Allzu viel ist ungesund, hat meine Oma früher immer gesagt. Aber Oma hat auch an Gott geglaubt und war in der Kirche – weil oder obwohl, das habe ich nie herausgefunden. Jedenfalls wäre sie mit ihrer religiösen Grundhaltung in diesem kleinen irischen Kaff unangenehm aufgefallen. Denn dessen Bewohner sind nicht nur der mächtigen römischen Kurie im Allgemeinen, sondern im Besonderen auch ihrem irdischen Buchhalter, dem Priester James Lavelle, feindlich gesonnen.

Und da geht es auch schon los mit dem Allzuviel. Ob Kneipier, afrikanischer Immigrant oder der – scheinbar einzige - Arzt des örtlichen Krankenhauses: Jeder von ihnen trägt die Verachtung für den armen Kirchenmann wie eine Monstranz vor sich her. Bisweilen wirkt es schon absurd, dass kein normaler Satz fällt und jede Beleidigung so möchtegern-schlau formuliert ist, als stamme sie direkt aus dem Lexikon der Bosheiten. Der gewitzte Zuschauer flüchtet sich deshalb in die am nächsten liegende Erklärung: Der Groll der Gemeinde kann nicht nur daran liegen, dass Kirchen-Bashing als moderne Rebellion ohne jedes Risiko sich mittlerweile auch in den traditionellsten Winkel Irlands vorgewagt hat. Es muss, so denkt man, irgendetwas Böses hinter der friedfertigen Fassade von Lavelle schlummern. Ein dunkles Geheimnis, das alle kennen, aber niemand offen ausspricht.

Calvary (mit Brendan Gleeson)
James (Brendan Gleeson) führt ein ernstes Gespräch mit
Jack Brennan (Chris O'Dowd), dem örtlichen Schlachter.

Dieser Verdacht erhält schnelle Nahrung. Im Beichtstuhl erfährt Priester James nicht nur Erhellendes über die Vergangenheit des Sünders in spe, sondern auch Düsteres über seine eigene Zukunft: In sieben Tagen, so eine Stimme, die als weiteres Indiz des Zuviel direkt aus der Mediathek des Teufels stammen könnte, wird ihr Inhaber den Kirchenmann töten. Als Rache für frühere Verletzungen durch die Kirche, die sich der Film von der Realität ausgeborgt hat. Das Pikante daran: Nicht Lavelle war am damaligen brutalen Kindesmissbrauch beteiligt. Aber weil sich er und der kommende Killer kennen, soll er trotzdem sterben - einen Stellvertreter-Tod. Dieser Kniff ist es, der den Zuschauer tatsächlich durch die biblischen Plagen des Filmeschauens trägt, die ihm in den kommenden 100 Minuten bevorstehen.

Die da wären: zu viel Pathos. Zu viele Hubschrauberaufnahmen sattgrüner Berghänge. Zu viel Bemühen, das dörfliche Leben in den Weltkontext zu katapultieren. So wird die Finanzkrise eher unfreiwillig parodiert, wenn steinreicher Ex-Banker und kreditgeplagter armer Schlucker im selben Sprengel leben. Und wie eine Oberheuschrecke fällt Regisseur und Drehbuchautor John Michael McDonagh schließlich über die Dialoge her und nagt so lange an ihnen herum, bis nur noch ein lebloses Satzskelett übrig bleibt, wo doch eigentlich das Herzstück freigelegt werden sollte.

Das macht es auch den Schauspielern nicht leichter. Im Grunde könnte Brendan Gleeson gleich alle Rollen spielen: sich selbst als Priester, und die anderen, indem man nur seine Reaktion zeigt. Das wäre kein besonders großer Verlust, denn Gleeson steckt seine eher eindimensionalen Kollegen auch dann noch in die Tasche, wenn es mit ihm gegen Ende der Sieben-Tages-Frist sichtlich bergab geht. Da sieht man sogar darüber hinweg, dass seine Duldsamkeit eher an eine Klagemauer als an einen Menschen erinnert. Hätte er eine dritte und vierte Wange, würde er die auch noch hinhalten.

Calvary (mit Brendan Gleeson)
Priester James Lavelle (Brendan Gleeson) macht sich über viele Dinge Gedanken.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Story ist nicht das Problem. Aus einer originellen Idee entspinnt sich im Dorf-Mikrokosmos ein abwechslungsreicher Plot. „Calvary“ schlägt sich erfreulicherweise nicht auf die Seite eines Genres, sondern ist mal (konventioneller) Krimi, mal Heimatfilm und mal Tragikomödie. Aber je verkrampfter sich Regisseur McDonagh um Tiefgang bemüht, umso hartnäckiger wird er wieder zurück an die Oberfläche gespült. Kleine Momente der Wahrheit retten „Calvary“ dann vor der völligen Kunststarre: In einem von ihnen soll Lavelle beantworten, ob er geweint habe, als er von den Missbrauchsfällen erfuhr. Und obwohl ein „ja“ der Lage definitiv angemessener gewesen wäre, verschmäht er die nahe liegende Lüge.

Die große Geste – ein Appell an die Vergebung – bleibt hingegen am Ende nur eine Behauptung. Aber immerhin hat „Calvary“ das elfte Gebot des Filmemachens beherzigt: Du sollst nicht langweilen. Deshalb belassen wir es bei einem Ave Maria und drei Mal täglich Lockerungsübungen beim Drehbuchschreiben. Amen.


  • „Calvary“ lief auf der den 64. Internationalen Filmfestspielen Berlin (Berlinale) ab 09.02.2014 in der Sektion Panorama.
  • Für alle Bilder gilt: © 2014 Ascot Elite Filmverleih GmbH

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Fakten
Originaltitel:
Calvary
 
deutscher Kinostart am:
23.10.2014
 
Genre:
Tragikomödie / Krimi / irischer Heimatfilm
 
Regie:
John Michael McDonagh
 
Länge:
ca. 100 Minuten
 
FSK der Kinofassung:
ab 16 freigegeben
 
Kinoverleih:
Ascot Elite
 
Dieser Film wurde bewertet von:
abu (54%),
Martin (74%)
 
Texte:
abu
 
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