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Violinist Paul Körner (Conrad Veidt) wird wegen seiner nach § 175 unter Strafe gestellten Beziehung zu seinem Musikschüler Kurt (Fritz Schulz) von einem Stricher erpresst. Das Aufklärungsdrama von Richard Oswald und mit Dr. Magnus Hirschfeld gilt als erster Film, der Homosexualität offen anspricht.
Körners Jugendfreundschaft wird in den 1910ern als unsittlich empfunden.
Inhalt:
Paul Körner (Conrad Veidt) ist Berufsmusiker. Vom Internat ist er damals geflogen, weil er mit seinem Schulfreund enger war, als es gesellschaftlich toleriert wurde. So hat er sich durch ein zurückgezogenes Studium zu einem gefeierten Violinvirtuosen entwickelt.
Auch der junge Kurt Sivers (Fritz Schulz) schwärmt für den Violinisten und bittet ihn, ihm Musikunterricht zu geben. Durch den guten Zuspruch von seiner Schwester Else (Anita Berber) darf Kurt sich von Paul zum Künstler ausbilden lassen. Er wird Pauls bester Schüler und tritt mit ihm auf.
Der Stricher Franz Bollek (Reinhold Schünzel), der Paul bereits wegen dem § 175, dem Schwulenparagraph, erpresst hat, beobachtet Paul und Kurt miteinander und fordert mehrmals Schweigegeld von dem Musiker. Paul weiß sich nicht anders zu helfen, als Franz wegen Erpressung anzuzeigen, obwohl ihm klar ist, dass Franz auch ihn aufgrund des § 175 anzeigt.
Körner (Conrad Veidt, rechts) trifft auf einer schwulen Tanzveranstaltung auf seinen Erpresser Bollek (Reinhold Schünzel).
Kritik:
Nach dem ersten Weltkrieg hob die Weimarer Republik die Zensur auf und ermöglichte Filmemachern wie Richard Oswald, tabuisierte Themen zu behandeln. Diese Freiheit nutzend drehte Oswald, der nach einigen Theaterjahren bereits fünf Jahre lang Filme gemacht hatte, den ersten Film überhaupt, der offen – und dazu noch in wohlwollendem Tenor – über Homosexualität sprach: "Anders als die Andern".
Zu dieser Zeit war die Strafe für homosexuelle Handlungen in vielen anderen Staaten bereits längst aufgehoben worden. Im Deutschen Reich kämpfte man seit zwei Jahrzehnten in der Emanzipationsbewegung für die Abschaffung des Strafgesetzbuchparagraphen 175, der homosexuelle Handlungen unter Männern – nicht aber unter Frauen – unter Strafe stellte. Wissenschaftliche Untersuchungen stellten Homosexualität als "erbliche Belastung", "fehlerhafter Veranlagung" oder "Seelenbestimmung" dar. Weil sie angeboren sei, so argumentierte man, dürfe sie nicht bestraft werden.
Die Vorlage für Oswalds kontroversen Film lieferte der bekannte Sexualforscher Dr. Magnus Hirschfeld, der selbst schwul war und dennoch die Fehlerhaftigkeitsthese vertrat. Im Film spielte Hirschfeld den Sexualforscher, also sich mehr oder weniger selbst. "Anders als die Andern" wurde ein großer Publikumserfolg und trat eine Welle von Aufklärungs- und Schmuddelfilmen los. Das stärkte die vehementen Gegner des Films. Als man 1920 doch wieder eine Zensur einführte, wurde "Anders als die Andern" verboten und fast alle Kopien vernichtet.
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Körner unterhält sich mit dem Arzt (Sexualforscher Dr. Hirschfeld).
Es überlebten nur Fragmente von ca. 40 Minuten Länge, was jenen Szenen entspricht, die Hirschfeld für seinen 1927er Film "Gesetze der Liebe" umgeschnitten hatte. Aus einer verbliebenen tschechischen Filmkopie dieses Filmes sowie einiger anderer Quellen rekonstruiert das Filmmuseum München eine 51-minütige Fassung von "Anders als die Andern". Neue, ausführlich erklärende Zwischentitel und Standbilder wurden eingefügt, doch mehr als die Hälfte des Filmes ist für immer verloren.
Viele Jahrzehnte später, nach dem Stonewall-Aufstand, nach der endgültigen Abschaffung des § 175 im Jahre 1994 und nach Einführung der Lebenspartnerschaft, wirken die angedeuteten Küsse und die kleinen Gesten der Zuneigung unter Männern alles andere als reißerisch. Sie erinnern eher an die Scham, die heute noch in Bollywood vorherrscht. Doch zur Entstehungszeit war die Wahrnehmung selbstverständlich eine ganz andere. Homosexuelle Handlungen waren per Strafe verboten und führten bei deren Entdeckung zu sozialer Ächtung. Aber hauptsächlich diente der umstrittene Paragraph 175 zwielichtigen Personen zur Erpressung Schwuler, wie im Film auch angeprangert.
Körners Zuneigung für Kurt (Fritz Schulz) wirkte früher auch ohne viel 'Action' aufrührischer als heute.
Heutzutage wirkt dieser Stummfilm steif, statisch wie eine Theaterinszenierung und der Gestus etwas pathetisch. Da wird klar, wie grundlegend sich durch MTV und Actionspektakeln unsere Sehgewohnheiten verändert haben. Als Vorreiter bei der Sichtbarmachung Homosexueller verwundert es nicht, dass sich der Filmprotagonist Körner am Ende das Leben nimmt. Bis weit zum Ende des 20. Jahrhunderts wurden Schwuler und Lesben als Geistesgestörte, Krankhafte, Mörder oder Selbstzerstörer dargestellt (siehe "…denn sie wissen nicht, was sie tun" (1955) oder "Cruising" (1980) mit Al Pacino).
In dieser Hinsicht ist der Aufklärungsfilm "Anders als die Andern" besonders außergewöhnlich, denn der Selbstmord wird nicht dem vermeintlich krankhaften Homosexuellen, sondern der schwulenverachtenden heterosexuellen Gesellschaft angekreidet. Der deutlich erhobene Zeigefinger der Moral hat zugleich etwas Melodramatisches. Dennoch sind die unvoreingenommene Darstellung des Films und die aufklärerische Haltung wahrlich beachtlich.
Hintergrund:
- Die DVD der Edition Filmmuseum zeigt die Reste des Films, die überlebt haben, mit Klavierbegleitung und optionalen englischen Untertiteln. Außerdem enthält die DVD den 40-minütigen Teil "Schuldlos geächtet" aus Hirschfelds "Gesetz der Liebe", aus dem "Anders als die Andern" restauriert wurde, sowie eine 7-minütige Doku zur Skandalgeschichte des Film.
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Fakten |
Originaltitel: Anders als die Andern (§ 175)
deutscher Kinostart am: 28.05.1919
Genre: Drama / Aufklärungsfilm, Fragment
Regie:
Richard Oswald
Dieser Film wurde bewertet von: Martin( -)
Texte: Martin
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